13.01.2022
Rhein-Neckar-Zeitung: „Horrorszenario“
Östringer Ortsumgehung würde Mühlhausener Wald durchschneiden
Die Östringer Bürgerinitiative kritisiert die Vorstellungen im Bundesverkehrswegeplan.
Von Sebastian Lerche
Östringen/Mühlhausen. „Die Eiche ist der Hoffnungsträger der Forstleute“ hat die RNZ im November geschrieben, als es um Rauenbergs Wald ging. Dasselbe gilt für Dielheim und Mühlhausen und hat auch die Östringer „Bürgerinitiative Ortsumgehung“ um den Vorsitzenden Bernd Schedwill sehr angesprochen, die sich mit ihren Sorgen jetzt an die RNZ wandte.

Eine Umgehung für Östringen wurde in den Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) mit den wichtigsten Infrastrukturprojekten der kommenden Jahre aufgenommen, eingestuft in den „vordringlichen Bedarf“. Momentan ist darin die Variante der „ortsnahen Nordumfahrung“ aufgeführt – sowohl für die Bürgerinitiative als auch Bürgermeister Felix Geider ein „Horrorszenario“.
Aber wie das Regierungspräsidium Karlsruhe auf RNZ-Anfrage bestätigte, gibt es noch keine offizielle Planung, die beginnt erst ab 2025: Aktuell haben Studenten der Hochschule für Technik in Karlsruhe Überlegungen zu mehreren Varianten angestellt. Und das „eher hemdsärmelig“, wie Bürgermeister Geider findet. Die Bürgerinitiative wiederum betont: „Wir müssen jetzt dran, nicht erst, wenn die Pläne fertig sind.“
Die Überlegungen im BVWP sind nämlich schon sehr konkret. Mit einer voraussichtlichen Länge von knapp fünf Kilometern nimmt die zweispurige Umgehung in der ortsnahen Nordvariante fast 15 Hektar in Anspruch. Auf fast 13 Hektar werden bedeutende Naturschutzvorrangflächen beeinträchtigt.
Die „ortsnahe Nordumfahrung“ führt laut BVWP zum größten Teil durch den Wald: „Sie durchschneidet großflächig ein FFH-Gebiet“ – gemeint ist ein nach europäischer Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützter Bereich – „und mehrere Waldbiotope mit Altholzbestand“ – unter anderem mit jenen Eichen, um die sich die Initiative sorgt. Weiter heißt es: „Durchschnitten wird über die Hälfte der Trasse ein BFN-Kernraum“ – ein vom Bundesamt für Naturschutz als wertvoll erachteter Waldlebensraum – „und ganzflächig ein Großsäugerlebensraum sowie ein BFN-Großraum.“
Die Eiche gilt als gewappnet für den Klimawandel und die zunehmenden Trockenheits- und Hitzephasen im Sommer. Alte Eichen sind selbst Lebensräume für viele Arten und sie können die Grundpfeiler eines gesunden Mischwalds der Zukunft sein. Der Wald sei auch ein wichtiges Naherholungsgebiet, so die im Januar 2020 gegründete Bürgerinitiative.
Den Wald zwischen Östringen, Rettigheim und Mühlhausen prägen kräftige alte Eichenbestände, im Norden wurde erst vor wenigen Jahren ihre natürliche Vermehrung gefördert. Die tausend jungen Bäume sind laut der Initiative jetzt vier bis fünf Meter hoch – und jetzt sollen sie zusammen mit den Altbäumen weg?
Die Bürgerinitiative kritisiert weiterhin, wie nah diese Nordtrasse am Ortsrand verläuft: Das hätte hohe Belastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner zur Folge.
Bezüglich der Nordtrasse heißt es im BVWP zudem: „Das Gelände ist gering bewegt.“ Und das könnte der entscheidende Vorteil gegenüber einer Südvariante sein, die die Bürgerinitiative bevorzugen würde. Im Süden führte laut ersten Betrachtungen eine Umgehung „durch ein sehr bewegtes Gelände und erfordert dadurch zwei Tunnel und eine Talbrücke“. In dieser Form, mit derart enormem Aufwand und Kosten, da sind sich die Gesprächspartner der RNZ einig, wäre eine Umgehung nicht vorstellbar. Selbst die ortsnahe Nordvariante würde sich auf mindestens 26 Millionen Euro belaufen – das ist die Schätzung von 2014, nicht realistisch, bedenkt man die Kostensteigerungen seither.
Die Bürgerinitiative betont, dass mit einer voraussichtlich mindestens 30 Meter breiten Schneise für eine Bundesstraße vom Wald nördlich Östringens „nichts mehr übrig“ bleibe. Man wirbt daher gegenüber Regierungspräsidium und Bund für eine ortsferne Südumfahrung. Die basiert, so die Initiative, „auf einer soliden Kenntnis der Östringer Topografie“. Vielleicht am wichtigsten: Sie käme, anders als die jetzt im BVWP angesprochene Südvariante, ohne Tunnel aus.
Überdies, das ist der Initiative wichtig, beeinträchtigte sie weder Naturschutzgebiete oder Wald noch Freizeit- und Naherholungseinrichtungen. Die Landesstraße L635 von und nach Odenheim könnte zudem angeschlossen und vom Verkehr entlastet werden. Diese Argumentation war Bernd Schedwill zufolge so überzeugend, dass in Karlsruhe eine weitere Prüfung einer alternativen Südvariante durchgeführt wurde, die gegenwärtig ausgewertet wird.
„Ich bin nicht sicher, ob überhaupt eine der ortsnahen Varianten funktioniert“: Ob Nord oder Süd, Felix Geider meint, die Planungen ab 2025 müssten ganz anders ansetzen. Die Bürgerinitiative tut sich seiner Ansicht nach auch keinen Gefallen damit, den Naturschutz im Süden gegen den im Norden auszuspielen.
Der Befürchtung, dass die Nordvariante schon feststeht, tritt der Bürgermeister mit mehreren Argumenten entgegen. So dienen die neuen Kreisverkehre am westlichen Ortsrand (Industriestraße) und an der Kreisstraße Richtung Mühlhausen (Franz-Gurk-Straße) nicht einer möglichen Umgehung: Die müsste dann plötzliche 90-Grad-Kurven haben – unvorstellbar.
Die ortsnahe Nordumfahrung ist seiner Ansicht nach aus einem einfachen Grund vom Tisch: wegen des Neubaugebiets Dinkelberg IV. „Wir schaffen Fakten, schon Ende des Jahres“, also lange vor dem Beginn der offiziellen Umgehungs-Planungen. Auf gut zehn Hektar sollen – das weiß das Regierungspräsidium – am westlichen Stadtrand Östringens rund 350 Wohneinheiten entstehen. Die ortsnahe Nordvariante würde dieses Gebiet durchschneiden, diese Planung sei also bereits veraltet, so Geider.
Ortsferne Umgehungsstraßen wiederum könnten, so Geider, eher funktionieren. Die Nordvariante müsste ohnehin von der B292 aus, noch auf Mingolsheimer Gemarkung, vor dem Östringer Klärwerk abzweigen und Dinkelberg IV ausweichen, also könnte sie auch weiter weg von der Bebauung bleiben – was im Übrigen weniger, nicht mehr Eingriffe in den Wald verursachen würde, so Geider. Idealerweise würde die neue Straße dann den Verkehr auf die Mühlhausener Umgehung, die B39, leiten, so Geider, das würde auch Angelbachtal entlasten.
„Die Südumgehung löst mehr Probleme“, gibt Felix Geider ferner zu bedenken. Er verweist dabei ebenfalls auf den Anschluss der Landesstraße Richtung Odenheim, der dieser und damit der Kuhngasse im Ort, die sehr eng und stark belastet sei, helfen würde.
Einigkeit herrscht darin, dass Östringen eine Umgehungsstraße braucht. Dahingehende Überlegungen reichen Jahrzehnte zurück. Wer jemals die enge, kurvige und stark belastete Ortsdurchfahrt entlang gefahren sei und sich vorstelle, welchen Lärm- und Abgasbelastungen Anwohner und Gewerbetreibende ausgesetzt seien, sehe das sicher ein – das sagen der Bürgermeister und auch die Bürgerinitiative: „Das ist eine Katastrophe.“
Stand 2014 ging man von 14- bis 15.000 Fahrzeugen am Tag aus, die quer durch Östringen wollen, davon 1000 Lastwagen. Heute sind es Geider zufolge eher 16- bis 17.000 Fahrzeuge und wie die Bürgerinitiative ergänzt noch um einiges mehr Schwerlastverkehr, weil sich Logistiker und Speditionen auf dem Gelände des früheren Nylonfaserwerks angesiedelt haben.
Im BVWP ist von einer möglichen Entlastung der Ortsdurchfahrt von bis zu 50 Prozent durch die Umgehung die Rede, daher wird ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis als positiv beurteilt, daher gilt ihre städtebauliche Bedeutung als hoch und daher wurde sie in den „vordringlichen Bedarf“ aufgenommen. Sie darf aber, betont Geider, die Probleme nicht nur verlagern oder noch mehr verursachen.
12.11.2021
Auszug aus den Stadtnachrichten Östringen über die Trassenwanderung der BIOÖ:


08.11.2021
Auszug aus der „Badische Neuste Nachrichten“ (BNN) über die Trassenwanderung der BIOÖ:
